„Der Erbe ist frei, über den Nachlass zu verfügen“ – Aufhebung der Bindungswirkung eines Testamentes?

Bei einem typischen Berliner Testament (Ehegatten setzen sich wechselseitig als Alleinerben ein und die Kinder als Schlusserben des Zweitversterbenden) besteht für den überlebenden Ehegatten für gewöhnlich nicht die Möglichkeit, nach dem Tod des Erstversterbenden abweichend von dem gemeinsamen Willen für den zweiten Todesfall zu verfügen.

Allerdings stellt sich die Frage, wie zusätzliche Formulierungen in solchen Testamenten zu bewerten sind, die auf etwas anderes hindeuten könnten. So findet man z.B. Formulierungen wie: der Überlebende „kann ungehindert über das gemeinsame Vermögen verfügen“, „kann frei und unbeschränkt über den Nachlass verfügen“ etc.

Solche Formulierungen werden von der Rechtsprechung üblicherweise nur als Ermächtigung zur freien Verfügung unter Lebenden ausgelegt, da sie andernfalls der Wechselbezüglichkeit und der Bindungswirkung widersprechen würden. Solche Formulierungen allein reichen nicht aus, die Bindungswirkung für den überlebenden Ehegatten aufzuheben. Allerdings müssen diese Formulierungen auch in jedem Einzelfall dahingehend überprüft werden, was die Erblasser, die ein solches Berliner Testament errichtet haben, tatsächlich gewollt haben. Der tatsächliche Wille ist für die Auslegung des Testaments maßgeblich. Dabei ist auf alle Aspekte zurückzugreifen, die zur Verfügung stehen.

Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 16.10.2022; Az. 3 W 130/21) hatte in einer solchen Sache zu entscheiden. Die Eheleute hatten sich wechselseitig eingesetzt und den Sohn zum Schlusserben bestimmt. Sodann verfügten sie „Der überlebende Teil wird in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Er kann frei über das beiderseitige Vermögen verfügen.“

Das Oberlandesgericht sah aus den Formulierungen heraus keine Möglichkeit, dem Zweitversterbenden die Möglichkeit zu abweichenden Verfügungen von Todes wegen zuzugestehen. Die Formulierung ähnelte zu sehr Regelungen wie sie z.B. auch im Vorerbfall Bedeutung haben.

Allerdings hatten die Eheleute bereits früher ein Testament errichtet, das sie später wieder aufgehoben haben. In diesem Fall hatten sie zum Ausdruck gebracht, dass sie es durchaus zulassen wollten, dass der Überlebende abweichend testieren durfte, also den Sohn wieder sollte enterben können („.. der überlebende Teil (soll) berechtigt sein, ohne Beeinträchtigung seines Erbrechtes einseitig dieses Testament beliebig zu ändern.“). Auch in diesem Testament hatten die Eheleute die Formulierungen zur freien Verfügung (s.o.) verwendet. Unter Berücksichtigung dieses und weiterer Umstände wurde daher ermittelt, dass der tatsächliche Wille der Eheleute die Möglichkeit der Enterbung des Sohnes durch den überlebenden Ehegatten beinhalten sollte. Daher wurde der Sohn nicht Erbe, da der Überlebende ein neues Testament errichtet hatte, welches den Sohn enterbte.