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Betriebsräte aufgepasst – Konstituierende Sitzung nur in Präsenz!

Nach Abschluss der Betriebsratswahl ist der Wahlvorstand gem. § 29 Abs. 1 BetrVG vor Ablauf einer Woche nach dem Wahltag verpflichtet, die konstituierende Sitzung des Betriebsrats einzuberufen. Auf dieser Sitzung ist der Vorsitzende des Betriebsrats und dessen Stellvertreter zu wählen. Damit ist der Betriebsrat errichtet und handlungsfähig.

Die Frage ist, muss diese konstituierende Sitzung als Präsenzsitzung oder kann sie auch als Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden?

Die Antwort ist: Die konstituierende Sitzung muss eine Präsenzsitzung sein!

Zu Beginn der Corona-Pandemie hatte der Gesetzgeber zunächst mit Einführung des § 129 Abs. 1 BetrVG a.F., der bis zum 30.6.2021 galt, erstmals ausdrücklich eine Regelung zur Zulässigkeit „virtueller“ Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz und Beschlussfassungen anlässlich solcher Sitzungen geschaffen. § 129 Abs. 1 BetrVG hatte vor allem den Zweck, die Arbeit der Betriebsräte ungehindert und kurzfristig nicht von der Pandemie beeinträchtigen zu lassen.

Diese Sonderregelung wurde dann in eine dauerhafte Regelung überführt. Die Paragraphen des BVerfG, die die Betriebsratssitzung und die Beschlussfassung des Betriebsrats regeln, wurden durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz angepasst. Dies wurde durch die Änderungen in §§ 30 Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 und Abs. 3, 33, 34 BetrVG sowie § 51 Abs. 3 BetrVG vollzogen.

Damit Video- und Telefonkonferenzen genutzt und wirksame Beschlüsse gefasst werden können, muss der Betriebsrat hierzu Regelungen in seiner Geschäftsordnung treffen (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG). Ohne eine Geschäftsordnung-Regelung wird die Anwesenheitsfiktion des § 33 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht ausgelöst und ist eine wirksame Beschlussfassung nicht möglich.

Die Geschäftsordnung wird durch den Betriebsrat mit der absoluten Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder beschlossen, § 36 BetrVG. Dies bedeutet, erst wenn eine Geschäftsordnung mit den Regelungen zur Durchführung von Betriebsratssitzungen per Video- und Telefonkonferenzen beschlossen wurde, können auch solche „virtuellen“ Betriebsratssitzungen durchgeführt werden.

Bei Durchführung der konstituierenden Sitzung existiert aber noch keine Geschäftsordnung. Die Geschäftsordnung des vormaligen Betriebsrats gilt nicht für den neugewählten Betriebsrat und wirkt auch nicht nach. Vielmehr muss sich jeder Betriebsrat selbst eine Geschäftsordnung geben. Diese kann inhaltlich der Vorgängerreglung entsprechen. Man muss als neugewählter Betriebsrat nicht das Rad neu erfinden und kann durch Beschluss die bisherige Geschäftsordnung als eigene übernehmen. Erforderlich ist aber eben die eigene Willensbildung und Beschlussfassung. Erst danach können dann, wenn die Geschäftsordnung entsprechende Regelungen enthält, Betriebsratssitzungen per Video- und Telefonkonferenz durchgeführt werden.

Zusammengefasst: Erst wenn eine Geschäftsordnung existiert, die Regelungen zur Durchführung von „virtuellen“ Betriebsratssitzungen enthält, können die folgenden Sitzungen „virtuell“ durchgeführt werden. Im Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung existiert noch keine Geschäftsordnung. Daher muss diese Sitzung als Präsenztermin durchgeführt werden. Der Gesetzgeber hat dieses Problem ganz offenbar übersehen oder wollte es nicht regeln. Wer weiß schon, was der Gesetzgeber sich gedacht hat.

Übrigens stellt sich noch ein weiteres Problem: Es ist derzeit noch völlig unklar, ob Wahlen, wozu eben auch die Wahl des Betriebsratsvorsitzenden und des Stellvertreters gehört, auch anlässlich einer Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden dürfen. Zur früheren Vorschrift des § 129 Abs. 1 a.F. hat das LAG Berlin-Brandenburg (24.08.2020 – 12 TaBVGa 1015/20 sowie 13.10.2020 – 26 TaBVGa 1281/20) entschieden, dass dies Vorschrift auf Wahlen keine Anwendung finde, da der Wortlaut der Vorschrift die Sitzungsteilnahme und die Beschlussfassung betreffe. Ob dies auch für die gesetzlichen Neureglungen, insbesondere § 30 BetrVG gilt, wird derzeit unter Arbeitsrechtlern sehr kontrovers diskutiert. Auch hier ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dieses Problem übersehen hat. Das ist sehr ärgerlich. Denn es gibt durchaus Tools, die sogar online eine geheime Wahl ermöglichen würden. Dennoch kann derzeit nur empfohlen werden, Wahlen ausschließlich auf Präsenzsitzungen durchzuführen.

 

Ich berate und vertrete Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen in allen arbeitsrechtlichen Fragestellungen. Außerdem führe ich als Referent Schulungen für Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen durch.

 

Thomas Regh

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Tel.: 0228/60414-25

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