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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT STÄRKT DAS RECHT AUF SELBSTBESTIMMTES STERBEN: §217 STGB IST VERFASSUNGSWIDRIG!

Unsere Nachbarländer, wie etwa die Schweiz, die Niederlande oder Belgien, erlauben schon seit einiger Zeit den assistierten Suizid. Anders Deutschland: Im Dezember 2015 wurde die professionelle Beihilfe zum Suizid sogar explizit unter Strafe. Dabei war es bis dahin auch in Deutschland völliger Konsens, dass die Teilnahme an einem Suizid straflos ist. Und dazu gehört eben auch die Hilfestellung, also die Assistenz zu einem Suizid.

Suizidhilfe war dadurch fast unmöglich geworden. Das hat sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26.02.2020 geändert. Es gab gleich die Höchststrafe für den Gesetzgeber. Nicht nur, dass das Gesetz ab sofort nicht mehr gilt, es ist sogar nichtig. Das bedeutet rechtlich, dass dieses Gesetz noch nie gegolten hat.

Nach ausführlicher Diskussion hatte der Bundestag 2015 beschlossen, geschäftsmäßige – also wiederholte – Förderung von Suizid unter Strafe zu stellen. Das sollte vor Einflussnahme und vor einer Normalisierung des Suizids als geplantes Lebensende schützen. Hierdurch wurde beispielsweise die Arbeit von Vereinen wie „Sterbehilfe Deutschland e.V.“ des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch verboten. Aber auch Ärzte befürchteten, sich bei der Begleitung von oft todkranken Patienten, die ihr Leiden selber verkürzen wollten, etwa durch Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit oder durch Einnahme von tödlichen Medikamenten, strafbar zu machen. Die wenigen Ärzte, die bereit waren, trotz der rechtlichen Risiken Patienten hin zu einem Suizid zu begleiten, waren für Patienten nicht erreichbar, da ihnen die Möglichkeit verwehrt blieb, sich zu informieren.

Dagegen hatten Betroffene, Ärzte und Vereine geklagt.
 
Obwohl das Gericht die Sorgen über Einflussnahme und der Normalisierung des Suizids teilt, stehe jedem ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu. Dieses Recht beinhalte auch die Freiheit bei Dritten Hilfe zu ersuchen und, soweit angeboten, auch anzunehmen.

Die Entscheidung bedeutet eine Entlastung für Betroffene, Ärzte, und Angehörige. So sehr man eine Entscheidung für diesen Ausweg persönlich bedauern sein mag, so wichtig kann für den betroffenen Menschen die Möglichkeit dieses letzten Auswegs sein. Ärzte können nach bestem Gewissen offen mit Patienten reden, ohne eine strafrechtliche Verfolgung fürchten zu müssen. Dieses offene Gespräch ist auf jeden Fall im Interesse der Betroffenen. Für die Angehörigen ist es eine Entlastung, nicht mehr alleine dafür verantwortlich zu sein, ihre Liebsten beim Sterben zu begleiten. Bisher waren sie zuweilen die Einzigen, die ohne Sorge vor Strafe ein Medikament zum Suizid bereitstellen konnten – und mit dieser Verantwortung umgehen mussten –.  

Grundsätzlich sei eine Regulierung der Suizidhilfe durchaus erlaubt. Das Gericht fordert aber deutlich mehr Feingefühl des Gesetzgebers für diese schwierige und besonders persönliche Entscheidung eines jeden Einzelnen. Das Ziel dürfe nicht die Missbilligung oder Reduzierung von assistierten Suiziden im Generellen sein.
 
Es müssten vielmehr Mechanismen eingeführt werden, die garantieren, dass eine Entscheidung zu einem assistierten Suizid frei und unbeeinflusst von Anderen oder von eigenen psychischen Störungen getroffen wird. Dazu gehöre, dass demjenigen alle verfügbaren Informationen zur Verfügung stünden. Außerdem müsste sichergestellt sein, dass es sich nicht nur um eine kurzfristige Entscheidung handele.
 
Das Bundesverfassungsgericht hat hier einen genauen Blick in die uns umgebenden Staaten geworfen. Denn eben diese vorgeschlagenen Mechanismen von Wartezeiten und Aufklärungspflichten sind in den Niederlanden und Belgien etwa längst implementiert. Anders als dort soll es in Deutschland allerdings keine Rolle spielen, ob der Patient schwer erkrankt ist oder wie alt er ist. Das Recht, sein Leben zu beenden, bestehe in jeder Phase menschlicher Existenz. Eine gewagte These, die einerseits für Kritiker Tür und Tor öffnet, andererseits aber deutlich macht, für wie gewichtig das Bundesverfassungsgericht die Selbstbestimmung der einzelnen Person hält.

Doch das Gericht geht noch weiter. Es rät außerdem zu einer bundesweit einheitlichen Ausgestaltung des Berufsrecht der Ärzte und Apotheker sowie einer eventuellen Anpassung des Betäubungsmittelrechts. Für die Ärzte und Apotheker bedeutete dies mehr Klarheit und für Patienten einheitliche Regelungen in allen Bundesländern auf die sie nicht, abhängig vom Wohnort, benachteiligen.

Zuletzt gibt es dann doch noch eine Einschränkung. Trotz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben gebe es keinen Anspruch gegen Dritte auf Hilfe bei der Selbsttötung und somit kann niemanden, auch keine Ärzte, eine Pflicht zur Suizidhilfe treffen. Am Ende bleibt sich das Urteil damit aber vor allem in Einem treu: Die Freiheit zur Selbstbestimmung ist ein nur schwer einzuschränkendes Gut. Die Freiheit der Patienten, die Freiheit von Helfenden, aber auch die Freiheit von Ärzten zu entscheiden, dass sie keine Suizidhilfe leisten wollen.
 
Inwieweit die Befürchtungen von Teilen des Bundestages und anderer Kritiker des aktuellen Urteils eintreten, bleibt abzuwarten. Einfluss darauf wird zumindest auch die genaue Ausgestaltung einer neuen Regelung haben, der sich nun die Politik widmen muss. § 217 StGB existiert seit dem 26. Februar 2020 nämlich nur noch auf dem Papier.
 
Eberhard Rott
Fachanwalt für Erbrecht und Fachanwalt für Steuerrecht, Testamentsvollstrecker (AGT)
für das HÜMMERICH legal Erbrechtsteam