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BAG – Arbeitnehmer muss Überstunden nachweisen!

Verlangt ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber die Bezahlung von Überstunden, dann muss er die Ableistung dieser Überstunden beweisen, wie das Bundesarbeitsgericht am 04.05.2022 in mehreren Verfahren entschieden hat (5 AZR 359/21; 5 AZR 451/21; 5 AZR 474/21). Dies gilt, obwohl der EuGH vor drei Jahren entschieden hatte, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zuverlässig aufzeichnen müssen. Damit bestätigt das Bundesarbeitsgericht seine langjährige Rechtsprechung zum Umfang der Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers im Überstundenprozess.

Was war geschehen? Für einen Auslieferungsfahrer wurde die tägliche Arbeitszeit mittels technischer Zeitaufzeichnung erfasst, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen ein Guthaben von 348 Stunden zugunsten des Arbeitnehmers. Mit seiner Klage machte der Arbeitnehmer die Bezahlung von 348 Überstunden geltend. Er führte an, dass er die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet habe, weil es nicht möglich gewesen sei, Pausen zu nehmen, da sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können, was der Arbeitgeber bestritt.

Worum geht es? Klagt ein Arbeitnehmer Überstunden ein, dann muss erstens darlegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Dies sind die seit Jahrzehnten geltenden Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess. Im Jahr 2019 hatte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Daraus entstand die Diskussion, ob dieses Urteil die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess zugunsten des Arbeitnehmers modifiziert, wenn der Arbeitgeber dies nicht oder nicht zuverlässig einhält.

Was hat das BAG entschieden? Das BAG hat entschieden, dass es bei der oben beschriebenen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast verbleibt, so dass der Arbeitnehmer sowohl Ableistung wie auch die Anordnung oder Duldung von Überstunden durch den Arbeitgeber nachweisen muss, wenn dieser dies bestreitet. Davon sei auch aufgrund des Urteils des EuGH zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht abzurücken. Die Richtlinie betreffe nur den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer, fände aber grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer.

Was bedeutet das für die Praxis? Will ein Arbeitnehmer erfolgreich Überstunden einklagen, dann braucht er dazu aussagefähige Aufzeichnungen, aus denen sich die Arbeitszeit einschließlich Pausen ergibt. Außerdem muss er darlegen, warum Überstunden angefallen sind, welche Arbeiten also erledigt wurden und, dass der Arbeitgeber sie angeordnet hat oder wusste, dass sie geleistet werden. Wird die Arbeitszeit vom Arbeitgeber erfasst, ist dies schon einmal gut. Dann sind Beginn und Ende der Arbeitszeit erfasst. Aus den Aufzeichnungen müssen sich aber auch die Pausenzeiten ergeben, damit ersichtlich ist, was Arbeitszeit war und was nicht. Werden die Arbeitszeiten elektronisch erfasst und sind die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt, dann kann man üblicherweise davon ausgehen, dass der Arbeitgeber die erfassten Zeiten als richtig akzeptiert, insbesondere dann, wenn ein Arbeitszeitkonto  mit Plus- und Minusstunden geführt wird. Werden die Aufzeichnungen von Hand bzw. vom Arbeitnehmer gefertigt, dann muss der Arbeitnehmer sich die Stunden vom Arbeitgeber bestätigen lassen. Sonst läuft er Gefahr, dass diese nicht anerkannt werden. Außerdem sollte dokumentiert werden, welche Arbeiten konkret geleistet wurden und von wem diese angeordnet wurden. Ggf. kann hier eine E-Mail am nächsten Tag sinnvoll sein, in der mitgeteilt wird, dass man zur Erledigung einer bestimmten Arbeit bis zu einer bestimmten Uhrzeit länger gearbeitet hat. Natürlich ist auf die gesetzlichen Grenzen des Arbeitszeitgesetzes zu achten.

Haben Sie ein Problem im Arbeitsverhältnis? Rufen Sie an: 0228/6041425.

 

Thomas Regh
Fachanwalt für Arbeitsrecht, Mediator
thomas.regh@huemmerich-legal.de