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BVerfG: Mitbestimmung in einem Blutspendedienst

BVerfG, Entscheidung vom 30.04.2015 – 1 BvR 2274/12  

Anwendbarkeit der Vorschriften des BetrVG über die betriebliche Mitbestimmung in einem karitativen Blutspendedienst

BVerfG Beschluss vom 30.04.2015 – 1 BvR 2274/12

Das gesetzliche Grundkonzept und der Geltungsbereich der betrieblichen Mitbestimmung werden von §§ 1 ff. BetrVG festgelegt. Modifikationen und Einschränkungen für einzelne Betriebsarten und Unternehmen finden sich sodann am Ende des Gesetzes in den §§ 114 – 118 BetrVG.

Vor diesem Hintergrund bewegt sich eine Gerichtsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.04.2015 (Aktenzeichen: 1 BvR 2274/12). Ausgangspunkt dieser Entscheidung war die Verfassungsbeschwerde einer Arbeitgeberin, die einen als gemeinnützig anerkannten und den weltweiten Grundsätzen der Rotkreuz-Bewegung verpflichteten Blutspendedienst betreibt. Der wesentliche Unternehmenszweck dieses Blutspendedienstes ist die Förderung des Blutspendewesens und der Transfusionsmedizin. Die bei der Beschwerdeführerin beschäftigten Arbeitnehmer werden deshalb insbesondere für die Entnahme, Sammlung und Aufbereitung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und die Erbringung transfusionsmedizinischer Labor- und Serviceleistungen eingesetzt. Den Beschäftigten obliegt es, die Blutspenden medizinisch zu testen, aufzubereiten und danach entgeltlich an Ärzte und Krankenhäuser weiterzuleiten.      

Zwischen den Parteien des Rechtsstreits war streitig, ob innerhalb des Unternehmens der Beschwerdeführerin ein so genannter Wirtschaftsausschuss gemäß § 106 BetrVG einzurichten ist. § 106 Abs. 1 S. 1 BetrVG bestimmt, dass in allen Unternehmen mit in der Regel mehr als einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmern ein Wirtschaftsausschuss zu bilden ist. Die Anwendbarkeit der §§ 106 – 110 BetrVG ist jedoch nach § 118 Abs. 1 S. 2 BetrVG kraft Gesetzes ausgeschlossen für solche Betriebe und Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen dienen. § 118 BetrVG privilegiert damit spezifische grundrechtsgeschützte, ideelle und politische Zielsetzungen, deren Umsetzung nicht nur im unternehmerisches Einzelinteresse erfolgt, sondern zugleich der Erfüllung eines generellen und schützenswerten Bedarfs der Allgemeinheit dienen. 

Vorliegend hatte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den Inhalt des § 118 Abs. 1 S. 2 BetrVG die Einrichtung eines Wirtschaftsausschusses in ihrem Unternehmen abgelehnt und sich auf den nach ihrer Auffassung gegebenen Tendenzcharakter Ihres Unternehmens berufen. Der von ihr betriebene Blutspendedienst diene unmittelbar einer karitativen Zwecksetzung.

Während das erstinstanzlich mit der Klärung dieser Rechtsfrage befasste Arbeitsgericht der Auffassung der Beschwerdeführerin entgegentrat und einen Tendenzschutz nach § 118 BetrVG verneinte, erachtete das Landesarbeitsgericht hinsichtlich des Blutspendedienstes die Merkmale eines Tendenzunternehmens als gegeben an. In dritter Instanz schloss sich das Bundesarbeitsgericht seinerseits der Meinung des Arbeitsgerichts an: Der Blutspendedienst habe keinen tendenzgeschützten Charakter, weil er keine unmittelbar karitative Zwecksetzung verfolge. Diese sei nur dann anzunehmen, wenn sich die Zielsetzung des jeweiligen Unternehmens oder Betriebs unmittelbar auf die Hilfe an leidenden oder hilfsbedürftigen Menschen fokussiere, was bei einem Blutspendedienst mit der vorstehend beschriebenen Ausrichtung jedoch nicht der Fall sei (vgl. hierzu BAG, Beschluss v. 22.05.2012, Aktenzeichen: 1 ABR 7/11).  

Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr innerhalb seiner Entscheidung abschließend klargestellt, wann eine ebensolche unmittelbare und überwiegende Zweckzuordnung des Betriebs zu einer karitativen Bestimmung anzunehmen ist und damit zugleich die bereits von Seiten des Bundesarbeitsgerichts vorgegebene rote „Rechtsprechungslinie“ bekräftigt. Nach dem Dafürhalten des Gerichts ist § 118 BetrVG eine eng zu interpretierende Vorschrift mit Ausnahmecharakter. Der Tendenzschutz eines Unternehmens oder eines Betriebs wegen einer unmittelbaren und überwiegend karitativen Zielsetzung im Umfang des § 118 BetrVG besteht nach übereinstimmender Auffassung des BAG und des BVerfG nur dann, wenn das Unternehmen den sozialen Dienst an körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel hat, auf Abwehr, Heilung oder Milderung seelischer oder körperlicher Nöte des Einzelnen gerichtet ist, die Tätigkeit ohne Gewinnerzielungsabsicht erfolgt und der Unternehmer nicht ohnehin von Gesetzes wegen zu derartigen Hilfeleistungen verpflichtet ist. Das Prinzip der Nächstenliebe muss sich durch die Unternehmenstätigkeit direkt gegenüber den Hilfsbedürftigen verwirklichen.

Nach Auffassung beider Gerichte trifft dies für einen kommerziell agierenden Blutspendedienst nicht zu, auch nicht, wenn der Rechtsträger einer solchen Unternehmung als gemeinnützig anerkannt ist und sich der Beachtung internationaler Standards des „Roten Kreuzes“ verpflichtet hat. 

Rechtsanwältin Franziska K. Grafe     

Veröffentlicht am 30. Juni 2015