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Elternunterhalt: Wann besteht Bedürftigkeit?

Immer häufiger werden erwachsene Kinder herangezogen, um ihren Eltern Unterhalt zu leisten. Welche Vermögensverhältnisse maßgeblich sind, hat der Bundesgerichtshof klar gestellt. Beschluss vom 08.07.2015, Az.: XII ZB 56/14

Beschluss des BGH vom 8.7.2015

In zunehmend häufigeren Fällen werden Kinder auf Unterhalt für Ihre Eltern in Anspruch genommen. Ärger entsteht in diesen Fällen zumeist ausschließlich mit dem Sozialamt, welches sich Zahlungen von Unterhaltsverpflichteten zurückholen will. Grundsätzlich müssen die Eltern dabei, bevor ein Kind (auch vom Sozialamt) in Anspruch genommen werden kann, sämtliches Einkommen und Vermögen verwerten, über welches sie verfügen oder über welches sie verfügen könnten. Dabei kommen auch Leistungen der Sozialhilfe als Einkommen der Eltern in Betracht, zumindest ab einem bestimmten Alter. Haben die Eltern das Rentenalter erreicht (hier wird an die Rentenaltersstufen bei der gesetzlichen Rentenversicherung angeknüpft; also abhängig vom Geburtsjahr), kann ein alter Mensch Grundsicherung im Alter nach § 41 ff SGB XII beantragen. Die Kinder können dann nicht mehr auf Unterhalt in Anspruch genommen werden, wenn ihr steuerliches Einkommen im Jahr unter 100.000 € liegt. Allerdings gilt: Wenn nur ein Kind über ein steuerliches Einkommen 100.000 € und mehr verfügt, kommt die Grundsicherung nicht in Betracht. Dann wird im Zweifel Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, wo diese Grenze nicht gilt.

Denkbar ist, dass Eltern gar nicht erst Grundsicherung beantragen, weil die Kinder über ein hohes Einkommen verfügen (aber unter 100.000 €) bzw. weil eines der Kinder über ein Einkommen von 100.000 € und mehr verdienen. Denkbar ist des Weiteren, dass das Sozialamt wegen Erstattung der Hilfe zum Lebensunterhalt an die Kinder herantritt. Der Bundesgerichtshof hat für solche Fälle folgendes entschieden:

Es steht dem Elternteil nicht frei, Grundsicherung zu beantragen oder nicht. Liegen die Voraussetzungen vor, wonach Grundsicherung zu gewähren wäre, ist der Elternteil so zu behandeln, als habe er Grundsicherung beantragt und erhalten. Dem Elternteil, der sich weigert, Grundsicherung zu beantragen, ist diese also im Zweifel wie eigenes Einkommen zuzurechnen. Die Beantragung von Grundsicherung stellt also eine Obliegenheit der Eltern dar. Verweigert der Elternteil dies, entfällt der Unterhaltsanspruch gegen das Kind.

Ergibt sich in einem solchen Fall, dass Grundsicherung nicht zu gewähren ist, weil ein Kind über ein steuerliches Einkommen 100.000 € oder mehr verfügt, ist es dem Sozialamt verwehrt, an die Kinder heranzutreten, die weniger als 100.000 € Einkommen zur Verfügung haben. In diesem Fall wäre die Inanspruchnahme eine unbillige Härte, weil sich die Verweigerung der Grundsicherung nur ergäbe, weil ein einkommensstarkes Geschwisterkind vorhanden ist. Dafür sollen die einkommensschwächeren Geschwister nicht haften.

Die Eltern selbst können in einem solchen Fall ebenfalls nicht unmittelbar an ein Kind herantreten. Ein solches Vorgehen ist als unzulässige Rechtsausübung anzusehen.

Zusammenfassend kann also gesagt werden: Wer steuerlicher Gesamteinkünfte von weniger als 100.000 € hat (dazu zählen aber auch Zinsen und sonstige Einkünfte), muss, wenn die Eltern das Rentenalter erreicht haben, im Zweifel nicht mit Inanspruchnahme rechnen. Man kann daher nur raten, bei Eltern im Rentenalter immer darauf zu schauen, welche Leistung das Sozialamt leistet, ob Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt. Wird Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, muss immer geschaut werden, ob nicht Grundsicherung beantragt werden kann.

Rechtsanwalt Joachim Hermes, Fachanwalt Erbrecht; Fachanwalt Familienrecht

Veröffentlicht am 11. Oktober 2015