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Erstes Urteil zur „Vererbbarkeit“ eines Facebook-Accounts

Das Landgericht Berlin (Urteil vom 17.12.2015, 20 O 172/15) hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Eltern eines verstorbenen minderjährigen Kindes als gesetzliche Erben die Zugangsberechtigung zum Facebook-Account Ihres verstorbenen Kindes erhalten müssen. Daneben stellen sich aber noch viele weitere ungeklärte Rechtsfragen.

Die Eltern begehrten von Facebook den Zugang, um den Account nach Informationen durchsehen zu können, die ihnen eine Erklärung für die im Raume stehende Selbsttötung des Kindes liefern könnten. Der Account war von Facebook in einen sog. “Gedenkzustand“ versetzt worden. Dieser hatte zur Folge, dass auch mit den (eventuell bekannten) Benutzerdaten nicht mehr auf die Inhalte zugegriffen werden kann. Welche dritte Person die Versetzung des Accounts in den Gedenkzustand veranlasst hatte, war nicht bekannt, die Eltern waren es jedenfalls nicht.

Das Urteil ist deshalb bemerkenswert, weil es die erste bekannt gewordene Entscheidung zu den in der rechtswissenschaftlichen Literatur (bspw. Rott, Eberhard / Rott, Alexander, Wem gehört die E-Mail? Rechts- und Praxisprobleme beim digitalen Nachlass, NWB-EV 2013, 160 – 168) schon seit längerem beschriebenen Problemkreis des Umgangs mit dem sog. „digitalen Nachlass“ darstellt.

Das Urteil ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. So hält das Landgericht Berlin die Richtlinien von Facebook zum Gedenkzustand für unwirksam, weil die Nutzer unangemessen benachteiligt werden. Beispielsweise wäre es nach diesen Richtlinien nicht möglich, der gängigen Empfehlung zu folgend für die Verwaltung der digitalen Daten einen sog. „digitalen Testamentsvollstrecker“ einzusetzen. Weiterhin zeigt das Urteil – wenngleich auch nur zu einem Teil – die Rechtsprobleme auf, die sich beim digitalen Nachlass generell stellen. Diese beginnen schon damit, ob bei den regelmäßig im Ausland stehenden Servern überhaupt deutsches Prozessrecht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts Anwendung finden kann. Auch ob deutsches oder ausländisches Datenschutzrecht gilt, kann im Einzelfall sehr unterschiedlich zu beurteilen sein. Im konkreten Fall hat sich das Gericht zur Anwendung des deutschen Rechts entschieden. Weiterhin hat das Gericht den Fall zu Gunsten der Eltern nur dadurch lösen können, dass das deutsche Telekommunikationsrecht nicht wortgetreu, sondern im Wege „verfassungskonformer Auslegung“ angewendet wurde und die elektronischen Daten, die auf dem Server des Anbieters gespeichert sind, mit persönlichen Briefen gleichgesetzt wurden. Dabei wird natürlich ein wesentlicher Unterschied zwischen Briefen und digitalen Daten geflissentlich übersehen, so dass durchaus fraglich ist, ob andere Gerichte an dieser Stelle nicht anders entscheiden würden. Dass der Verfasser eines Liebesbriefes damit rechnen muss, dass dieser von fremden Dritten (hier: den Erben) gelesen wird, sobald er ihn abgeschickt hat, liegt auf der Hand. Bei der digitalen Post ist der Übertragungsvorgang aber ein grundlegend anderer. Solange die Daten durch den Nutzer noch nicht abgerufen wurden, liegen sie auf dem Server des Providers. In den Zugriffsbereich des Empfängers gelangen sie erst, wenn sie durch den Nutzer abgerufen werden. Dann werden Sie auf dem Rechner des Nutzers abgespeichert und erst dann muss der Absender auch damit rechnen, dass fremde Dritte seine Nachricht lesen können. Richtigerweise müsste also die Frage gestellt werden, ob es den Erben eines Nutzers erlaubt wäre, dem Postboten, der gerade mit der Zustellung befasst ist, gegen dessen Willen einen an den Verstorbenen gerichteten Liebesbrief abzunehmen, zu lesen und für sich zu verwahren. Bei einer solchen Betrachtungsweise sähe das Ergebnis sicherlich anders aus, weil doch recht klar ist, dass auch die Persönlichkeitsrechte des Verfassers des Liebesbriefes schützenswert sind.

Das Landgericht hat deshalb in seiner Entscheidung auch deutlich gemacht, dass die Entscheidung nicht ohne weiteres übertragen werden kann auf volljährige Verstorbene und Erben, die nicht zum engsten Familienkreis gehören. Da es ausdrückliche gesetzliche Regelungen nicht gibt, wird die Rechtsunsicherheit fortbestehen. Es ist nicht einsichtig, warum ein familienfremder Dritter, beispielsweise eine zur Erbin eingesetzte gemeinnützige Organisation einen Anspruch darauf haben sollte, die vom E-Mail-Account noch nicht abgerufenen Liebesbriefe lesen zu dürfen. Auch erscheint es höchst fraglich, ob den Erben eines Arbeitnehmers Rechte an der geschäftlichen E-Mail-Korrespondenz (einschließlich etwaiger Geschäftsgeheimnisse!) zustehen sollen, nur weil sie Erben sind. In beiden Fällen erscheinen die schutzwürdigen Interessen der Absender der E-Mails vorrangig.

Solange es keine eindeutigen gesetzlichen Regelungen gibt, kann der Rat nur dahin gehen, selbst Vorsorge zu treffen. Jedermann sollte sich seine Gedanken zum Umgang mit seinem digitalen Nachlass machen und einen digitalen Sachwalter oder besser noch einen digitalen Testamentsvollstrecker einsetzen. Arbeitgebern kann nur geraten werden, Regelungen zum Umgang mit den digitalen Daten in die Arbeitsverträge aufzunehmen. Denn auch das hat das Landgericht Berlin klargestellt: Erben treten in die bestehenden Rechtsverhältnisse nur in dem Umfang ein, wie sie mit dem Vertragspartner ursprünglich vereinbart waren. Wie sorgfältig solche Regelungen ausgearbeitet werden müssen, zeigt die Entscheidung des Landgerichts Berlin ebenfalls. Facebook ist es jedenfalls nicht gelungen, seine Datenschutzrichtlinie gerichtsfest zu machen.

 

Rechtsanwalt Eberhard Rott, Fachanwalt für Erbrecht und Fachanwalt für Steuerrecht, Testamentsvollstrecker (AGT)