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Sind Betriebsschließungen im Rahmen der Coronaschutzmaßnahmen zulässig?

Um die Folgen für das Gesundheitssystem und damit letztlich für jeden gegebenenfalls infizierten Erkrankten einzudämmen, haben die Bundesregierung und die Landesregierungen eine Vielzahl von Schutzmaßnahmen umgesetzt, welche sich sowohl an den Bürger selbst (Kontaktverbote) als auch an Betriebe (Betriebsschließungen und Betriebseinschränkungen) richten. Infolgedessen ist das soziale Leben, allerdings auch das Wirtschaftsleben in Deutschland nahezu zum Erliegen gekommen. Bei genauer Betrachtung der seit Sonntag, den 22.3.2020 in allen Bundesländern mit Wirkung bis zum 20.4.2020 erlassenen Rechtsverordnungen stellt sich jedoch die Frage, ob die dort angeordneten Zwangsmaßnahmen tatsächlich auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage in einem formalen Gesetz beruhen.

  1. Rechtmäßigkeit der Maßnahme

Soweit die Bewegungsfreiheit des Bürgers eingeschränkt und Versammlungen wie Ansammlungen verboten werden, bestehen keine wesentlichen Bedenken, da diese Möglichkeit in § 28 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ausdrücklich vorgesehen ist und dieses Gesetz den Erlass entsprechender Rechtsverordnungen ausdrücklich vorsieht.

Nach dieser Vorschrift können notwendige Schutzmaßnahmen, insbesondere die Beobachtung, die Quarantäne und ein berufliches Tätigkeitsverbot ausgesprochen, Veranstaltungen und Ansammlungen verboten, Badeanstalten und Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne des § 33 Infektionsschutzgesetzes geschlossen sowie Personen verpflichtet werden, den Ort an dem sie sich Befinden nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. Ausdrücklich bestimmt § 28 Infektionsschutzgesetz, das in diesem Rahmen die Grundrechte der Freiheit der Person, der Versammlungsfreiheit und der Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt werden.

Zweifelhaft ist jedoch, ob diese Ermächtigungsgrundlage auch die Schließung von Betrieben rechtfertigt.

Eine Einschränkung des Eigentumsrechtes Art. 14 GG und/oder der Berufsfreiheit (Art 12 GG) ist in § 28 IfSG ausdrücklich nicht erwähnt und damit auch nicht vorgesehen. Dem folgend ist auch nicht vorgesehen, dass die Schließung von gewerblich tätigen Betrieben veranlasst werden kann. Vielmehr ist den Bestimmungen des Gesetzes zu entnehmen, dass die Schutzmaßnahmen, mit Ausnahme der Betriebsuntersagungen zu § 33 IfSG, ausschließlich darauf ausgerichtet sind, den Bewegungskreis der Bevölkerung (im öffentlichen Raum) einzuschränken. Vor diesem Hintergrund ist zumindest zweifelhaft, ob die Norm des § 28 IfSG tatsächlich auch den umgekehrten Ansatz der Betriebsschließung, ungeachtet der Beantwortung der Frage, ob von diesem eine Gefahr ausgeht oder nicht, abdeckt.

Von dieser Frage sind nicht nur Betriebe betroffen, denen nach den Rechtsverordnungen der Länder (in NRW die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, vom 22.03.2020 – CoronaSchVO) generell die Betriebsfortführung untersagt ist (nicht ausgenommener Einzelhandel, Augenoptiker, Hörgeräteakustiker etc, Restaurants, Gatstätten etc.). Betroffen sind auch solche Betriebe, die wegen einer Schutzmaßnahme mittelbar in ihrer Betriebsführung beeinträchtigt sind; so etwa der Bundesligist einer Profisportart, dem der Betrieb seiner Sportanlage verboten ist, dem Hotel, dass keine Übernachtungen zu touristischen Zwecken anbieten darf und Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe, bei denen ein Mindestabstand von 1,50 m nicht eingehalten werden kann. Denn hier wirken sich die betriebsbezogenen Verbote wie eine (ggf. teilweise) Betriebsstillegung aus.  

Hinzukommt, dass auch nach § 28 IfSG nur notwendige Schutzmaßnahmen angeordnet werden dürfen.

Die Corona Schutzverordnung stellt im weitesten Sinne eine ordnungsbehördliche Schutzmaßnahme dar, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegt.

Im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist also stets zu prüfen, ob es nicht möglich ist, das gleiche Schutzziel durch ein milderes Mittel zu erwirken. Hierzu kann gehören, dass bei Aufrechterhaltung des Betriebes, Anordnung zusätzlicher Schutzmaßnahmen getroffen werden, wie etwa die Begrenzung der Mindestzahl der Kunden in einem Verkaufsraum, die Einhaltung von Abständen, das Tragen von Schutzkleidungen und andere Anordnungen, die das Übertragungsrisiko verhindern oder vermindern.

Soweit ersichtlich, befassen sich im Kern auch die bereits in den letzten Tagen ergangenen Gerichtsentscheidungen im Zusammenhang mit angeordneten Schutzmaßnahmen, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Gegenstand des Verfahrens sind dabei Anfechtungsklagen gegen die vor dem 22.3.2020 ergangenen Allgemeinverfügungen der Ordnungsbehörden. Hier war stets zu prüfen, ob die aufschiebende Wirkung der jeweiligen Klagen anzuordnen war (§ 80 Abs. 5 VwGO). Dies ist in der Regel anzunehmen, wenn schon ihn dem anhängigen Eilverfahren eine summarische Prüfung ergibt, dass die angefochtene Allgemeinverfügung in Bezug auf den jeweils betroffenen voraussichtlich rechtswidrig ist.

  1. Aktuelle Rechtsprechung

Die Verwaltungsgerichte haben – soweit bereits ersichtlich- in diesen Eilverfahren den Eilrechtsschutz in der Regel mit der Begründung abgelehnt, dass der Ausgang im Hauptsacheverfahren offen sei und dem nicht vorgegriffen werden soll (VG Aachen, Beschluss vom 24.03.2020 7 L 230/20; Schleswig-Holsteinisches VG Beschluss vom 22.03.2020, 1 B 17/20).

Der Verfassungsgerichtshof in Sachsen hat indes die 15. Grosse Strafkammer des LG Dresden am 20.03.2020 verpflichtet eine öffentliche Hauptverhandlung in einem Strafverfahren durchzuführen, weil es die Verschiebung für unverhältnismäßig hielt (VGH Sachsen, 20.03.2020 – Vf.39-IV-20 (e.A).

  1. Zulässiges Rechtsmittelverfahren

In der nahen Zukunft wird es nicht mehr um die Beantwortung der Frage gehen, ob Allgemeinverfügungen rechtswidrig waren und deshalb für die Dauer des Hauptsacheverfahrens die Verfügung auszusetzen ist. Vielmehr richtet sich das Rechtsmittel, nachdem auch das Land Nordrhein – Westfalen dazu übergegangen ist, die Beschränkungen durch Rechtsverordnung zu regeln, gegen die Verordnung selbst.

Das zulässige Rechtsmittel wäre die Normenkontrollklage gemäß § 47 VWGO in Verbindung mit §§ 109a, 133 Abs. 3 S. 2 Justizgesetz Nordrhein-Westfalen.

Denn bei der CoronaSchutzVO handelte sich um eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift, für deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO zuständig ist.

Die Normenkontrollklage müsste binnen einen Jahres seit Inkrafttreten der Corona Schutzverordnung, d. h. spätestens bis zum 20. März 2021 beim Oberverwaltungsgericht eingegangen sein. Sofern sie bis dahin ihre Gültigkeit verloren hätte, wäre das Verfahren ggf. im Fortsetzungsfestellungsmodus fortzusetzen.

Ungeachtet der Notwendigkeit das Hauptsacheverfahren zu betreiben, besteht auch die Möglichkeit, gemäß § 47 Abs. 6 VWGO i.V.m. §§ 109a, 133 Abs. 3 S. 2 Justizgesetz den Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zu beantragen. Dazu ist die gleichzeitige Anhängigkeit des Hauptsacheverfahrens nicht erforderlich. Vielmehr kann das Oberverwaltungsgericht auch ohne Anhängigkeit des Hauptsacheverfahrens im einstweiligen Rechtsschutz Schutzmaßnahmen verfügen, wenn sich schon im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erweist, dass die Rechtsverordnung rechtswidrig oder nichtig ist (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein Westfalen, Beschluss vom 26.03. 2019 – 4 B 1019 / 19.NE-, Juris).

Bis zu einer Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einstweiligen Rechtsschutzes ist mit einer Verfahrensdauer von 3-5 Wochen zu rechnen. Dies wiederum müsste mit Blick auf die Aufnahme des Spielbetriebes einkalkuliert werden.

  1. Schadenersatz

 Sofern sich die Maßnahme als rechtswidrig erweist, kann dies Schadenersatzansprüche gegen den Staat auslösen. Grundsätzlich haftet der Staat gemäß § 839 BGB i.V.m. Art 34 GG für den Ersatz des Schadens, der dadurch entsteht, dass ein Beamter in Ausübung seines Amtes eine Amtspflicht schuldhaft verletzt. Zu den wesentlichen Amtspflichten gehört die Pflicht, rechtmäßig zu handeln und damit auch rechtmäßige Entscheidungen zu treffen.

Entschädigungsansprüche können sich aber auch ohne schuldhaftes Handeln aus dem Umstand ergeben, dass staatliches Handeln enteignende Wirkungen entfaltet (enteignender und enteignungsgleicher Eingriff) oder aus der Tatsache resultieren, dass der Staat rechtmäßige ordnungsbehördliche Maßnahmen ergreift, die den Bürger beeinträchtigen, obwohl er selbst für die Störung nicht (Mit-) Verantwortlicher (Störer) ist.

In den Fällen, in denen es um die Entschädigung wegen rechtswidriger Eingriffe des Staates geht, ist in der Regel Voraussetzung, dass vorrangig eine Vermeidung des Schadens durch die Inanspruchnahme von Rechtsmitteln versucht wurde. Mithin ist in diesen Fällen immer zunächst der Rechtsmittelweg zu beschreiten.

 

Hansjörg Tamoj

Fachanwalt für Verwaltungsrecht