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Sittenwidrige Testamente – gibt es die heute eigentlich noch?

Vor 30 Jahren galten sog. Geliebtentestamente als sittenwidrig. Auch wenn der Erblasser es ausdrücklich so verfügt hat, wollten die Gerichte diese Testamente nicht anerkennen, weil sie (angeblich) gegen „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen verstoßen“. Diese Verfügungen waren daher unwirksam. Heute denken wir anders. Aber (…)

(…) auch später gab es noch Entscheidungen, die eine Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen annahmen, so beispielsweise beim Behindertentestament. Hier hat die höchstrichterliche Rechtsprechung mittlerweile ein Machtwort gesprochen und erkennt solche Regelungen, jedenfalls wenn sie richtig formuliert sind, als wirksam an und sagt sogar ausdrücklich, dass solche Regelungen dem wohlverstandenen Interesse der Eltern zur Versorgung ihres behinderten Kindes entsprechen würden.
Bekannt geworden ist die Entscheidung um die Ebenbürtigkeitsklausel aus dem Testament über die Erbfolge nach dem im Jahre 1951 verstorbenen ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen, dem ältesten Sohn des 1941 verstorbenen ehemaligen Kaisers Wilhelm II. Sie beschäftigte sogar das Bundesverfassungsgericht. Nachdem die Monarchie abgeschafft sei, halte eine solche Klausel dem Spannungsverhältnis zwischen Testierfreiheit (Art. 14 GG) einerseits und dem Recht, unbeeinflusst die Wahl zu treffen, ob man heirate oder nicht (Art. 6 GG), einer Sittenwidrigkeitskontrolle nicht mehr stand.

Wer nun glaubt, solche Fälle würden ihn nicht betreffen, kann schnell eines Besseren belehrt werden. Ist es wirklich etwas Unanständiges, wenn man als Großvater von seinen Enkeln verlangt, diese mögen einen doch wenigstens sechsmal im Jahr besuchen? Sicherlich nicht. Verknüpft man diese Bedingung aber mit einer (anteiligen) Erbeinsetzung der Enkel, so wird daraus schnell ein veritabler Erbrechtsstreit. Das Oberlandesgericht Frankfurt kam jedenfalls in seinem Beschluss vom 05.02.2019 (20 W 98/18) zu dem Ergebnis, dass eine solche Verknüpfung in nach der Rechtsordnung zu missbilligender Weise unzulässigen Druck auf die Enkel (die den Inhalt des Testamentes kannten) ausüben würde. Der Erblasser habe versucht, durch einen wirtschaftlichen Anreiz in einer gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßenden Weise“ ein bestimmtes Verhalten zu „erkaufen“, so jedenfalls das Gericht. Dabei ist es aber nicht geblieben. Ist eine Testamentklausel sittenwidrig, fällt die entsprechende Klausel weg. Eigentlich wäre damit die Erbeinsetzung der Enkel entfallen. Im Wegfall der Enkel als Erben sah das Oberlandesgericht nun aber einen Fall, den der Erblasser nicht vorhergesehen hatte. Eine solche Denkweise ist für einen Nichtjuristen sehr schwer nachvollziehbar, hat der Erblasser seine Anordnung doch gerade in dem Bewusstsein getroffen, dass seine Enkel ihn möglicherweise nicht besuchen und dann auch nicht Erbe werden würden. Das Oberlandesgericht verengt aber das Verständnis des Erblassers auf die Vorstellung, er habe nicht vorhergesehen, dass seine Regelung wegen Sittenwidrigkeit unwirksam sei. Dadurch sei eine Lücke im Testament entstanden, die nun gefüllt werden müsse, denn es müsse ja entschieden werden, wer den Erbanteil bekomme, der ursprünglich für die Enkel vorgesehen war. Dabei kommt das Oberlandesgericht im Rahmen der Ermittlung des mutmaßlichen Erblasserwillens zu einem ganz kurios erscheinenden Ergebnis: Den Erbteil der Enkel, den diese infolge der Sittenwidrigkeit der Verfügung nicht bekommen können, bekommen – genau: die Enkel. Diese Entscheidung nachzuvollziehen, wird nun auch für den Erbrechtsjuristen schwierig, um nicht zu sagen, die vom Gericht vorgenommene Auslegung geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Die Begründung des Oberlandesgerichts lautet kurz zusammengefasst: Mit der sittenwidrigen (und damit nichtigen) Anordnung zugunsten seiner Enkel habe der Erblasser zum Ausdruck gebracht, dass diese ihm nahestehen würden und er sie deshalb bedenken möchte. Ein Zirkelschluss? Nicht für das Oberlandesgericht Frankfurt. Andere Auslegungsmöglichkeiten wären ohne weiteres denkbar gewesen.

Deutlich wird an diesem und den anderen dargestellten Fällen, dass sich das allgemeine Verständnis von Testamenten sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ändern kann. Ein Überdenken älterer Regelungen ist daher immer sinnvoll. Geholfen hätte dem Großvater sicherlich, wenn er den Fall, dass seine Enkel als Erben wegfallen, mit einer ohnehin immer empfehlenswerten ausdrücklichen Ersatzerbenregelung selbstbestimmt geregelt hätte.

Merke (Nirgends gilt der Satz so deutlich wie im deutschen Erbrecht): „Wer nichts regelt, der wird geregelt!“

Eberhard Rott
Fachanwalt für Erbrecht und Fachanwalt für Steuerrecht, Testamentsvollstrecker (AGT)
für das HÜMMERICH legal Erbrechtsteam